Triage-Fachgespräch im Bundestag: Mehr Rückschritt wagen!

Berlin: Ungenügend, Thema verfehlt! So beurteilt die LIGA Selbstvertretung die Reaktion des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 2021. Darin war der Gesetzgeber zu unverzüglichem Handeln aufgefordert worden, um behinderte Menschen im Fall einer Triage vor Diskriminierungen zu schützen. Von einer Triage spricht man, wenn die medizinischen Ressourcen nicht mehr für alle behandlungsbedürftigen Personen ausreichen. Der Gesundheitsausschuss reagiert mit einem Fachgespräch zum Thema Triage am 16. Februar. „Das Partizipationsgebot der UN-Behindertenrechtskonvention wurde dabei wieder einmal missachtet“, erläutert Dr. Sigrid Arnade, eine der LIGA-Sprecher*innen. 

Zum Fachgespräch eingeladen wurden laut Arnade eine der Beschwerdeführenden sowie drei ärztliche Vertreter*innen und ein Jurist, jedoch keine einzige Selbstvertretungsorganisation behinderter Menschen, was der UN-Behindertenrechtskonvention widerspreche. „Vermutlich wäre es ehrlicher gewesen und hätte zu demselben Ergebnis geführt, wenn die neue Ampel-Regierung nicht mit dem Motto ´Mehr Fortschritt wagen!´, sondern ´Mehr Rückschritt wagen!´ angetreten wäre“, vermutet die LIGA-Sprecherin resigniert.

Darüber hinaus sei es besonders ärgerlich und unverständlich, dass die Abgeordneten offensichtlich keinerlei Interesse an Fachlichkeit hätten. „Wieso werden nur Organisationen eingeladen, deren Positionen das höchste deutsche Gericht als unvereinbar mit der deutschen Verfassung beurteilt hat?“ fragt Arnade. Dagegen seien die Ausführungen der Organisationen, deren Argumentation sich das Bundesverfassungsgericht angeschlossen hat, für die Abgeordneten offensichtlich bedeutungslos. „Die Liste der zum Fachgespräch Eingeladenen ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht der behinderten Menschen in Deutschland und ihrer Organisationen. Es handelt sich vielmehr auch um einen Affront gegen die Richter*innen in Karlsruhe, die in ihrem Beschluss den Ausführungen der Bundesärztekammer, ärztlicher Gesellschaften, aber auch des Deutschen Ethikrats deutlich widersprochen haben“, so die LIGA-Sprecherin.

Die LIGA Selbstvertretung ist ein Zusammenschluss von 13 bundesweit tätigen Selbstvertretungsorganisationen, die von behinderten Menschen selbst verwaltet, geführt und gelenkt werden.

Nancy Poser hatte sich bereits am 8. Februar als eingeladene Beschwerdeführerin zu Wort gemeldet und die Zusammensetzung des Fachgesprächs kritisiert. „KEINE EINZIGE Organisation behinderter Menschen! Nur ich als Beschwerdeführerin bin eingeladen. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Behinderte hier nur stören, beim schnellen Gießen der DIVI-Leitlinien in Gesetzesform. #Partizipationgehtanders Art.4 Abs.3 UN-BRK!“, schrieb Nancy Poser auf Twitter und veröffentlichte die Liste der Teilnehmenden bei dem Fachgespräch. Unter den eingeladenen Verbänden finden sich dort lediglich die Bundesärztekammer und die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) e.V. Als Einzelsachverständige sind demnach neben Nancy Poser als Beschwerdeführerin beim Bundesverfassungsgericht noch Prof. Dr. Helmut Frister von der Heinrich Heine Universität Düsseldorf und Mitglied des Deutschen Ethikrats sowie Dr. Kathrin Knochel, Oberärztin für klinische Ehtik am Klinikum rechts der Isar vom Lehrstuhl Ethik der Medizin und Gesundheitstechnologien.

Diese Zusammensetzung wurde in einem zweiten Tweet von Nancy Poser wie folgt kommentiert: “’Fachgespräch‘ im Gesundheitsausschuss zum Triage-Gesetz, das behinderte Menschen schützen soll, nachdem BVerfG deren Benachteiligung durch die Leitlinien der DIVI und das Nichtstun des Gesetzgebers festgestellt hat: 0 x Selbstvertretung Behinderter, 4 x DIVI-Position-Vertreter.“

Link zu den Tweets von Nancy Poser mit der Liste der Sachverständigen