Ärzteschaft macht mobil für Triage: Nur die Stärksten sollen überleben

Berlin: „Mit ihren geplanten Verfassungsklagen gegen die Triage-Regeln im Infektionsschutzgesetz verstoßen Teile der organisierten Ärzteschaft sowohl gegen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als auch gegen das Genfer Ärztegelöbnis“ stellt die Sprecherin der LIGA Selbstvertretung, Prof. Dr. Sigrid Arnade, fest. „Beide Dokumente gelten jetzt seit 75 Jahren und für mich ist nicht nachvollziehbar, wie die Ärztegewerkschaft Marburger Bund und einige Ärztekammern kurz vor dem Menschenrechtstag am 10. Dezember für die Einführung der Ex-Post-Triage trommeln“, so Arnade. Bei der Ex-Post-Triage wird die medizinische Behandlung von Patient*innen zugunsten von anderen Patient*innen abgebrochen, wenn diese vermeintlich bessere Überlebenschancen aufweisen. Damit wird laut Arnade das Prinzip „Nur die Stärksten sollen überleben“ bei Ressourcenknappheit in einer Pandemie eingeführt, das unter anderem behinderte und alte Menschen deutlich benachteiligt.

Der Marburger Bund begründet seine Klage mit der ärztlichen Berufs- und Therapiefreiheit, die er durch das bisherige juristische Verbot der Ex-Post-Triage in der derzeitigen Fassung des Infektionsschutzgesetzes bedroht sieht. Die Landesärztekammern von Hessen und Westfalen-Lippe haben auf ihren Delegiertentreffen im November diese Verfassungsklage ausdrücklich unterstützt. Auch die Bundesärztekammer hat sich bereits im Mai 2022 auf dem 126. Ärztetag in einem Beschluss für die Einführung der Ex-Post-Triage ausgesprochen. „Es ist nicht zu fassen, wie dreist sich Ärztekammern für einen Behandlungsabbruch von vermeintlich schwächeren Patient*innen einsetzen und dies auch noch damit begründen, dass Ärzt*innen bei der derzeitigen Rechtslage gegen ihr Gewissen handeln müssten“, empört sich Arnade. Der Artikel 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte laute „Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person“ und im Genfer Gelöbnis schwören die Ärzt*innen „Ich werde den höchsten Respekt vor menschlichem Leben wahren“.

Auch die DIVI, die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin plant nach Informationen der LIGA Selbstvertretung eine Verfassungsklage gegen das Verbot der Ex-Post-Triage. „Mit ihren klinisch-ethischen Empfehlungen aus dem Frühjahr 2020 hatte die DIVI einen Proteststurm behinderter Menschen ausgelöst“, erklärt Arnade, „und dazu beigetragen, dass das Bundesverfassungsgericht im Dezember 2021 den Bundestag verpflichtete, behinderte Menschen gesetzlich vor einer Triage zu schützen. Und das will die Ärzteschaft nun rückgängig machen – einfach unglaublich!“